PiCast Fragment #4: Zufall im Spiel
PiHalbe — 16. July 2010 - 19:35
"Das Spiel ist doof,ist ja reiner Zufall, wer gewinnt." Durch diesen Satz angestoßen, habe ich mir ein paar Gedanken zu Zufall im Spiel gemacht, welche Arten es gibt, wann er toll ist und wann er doof ist. Was denkt Ihr denn dazu?
Kurze Anmerkung: Ein Beispiel für entscheidungsentwertenden Zufall wäre etwa folgendes …
Proben werden mit einem W100-Unterwürfel-System gelöst. Wer sich auf Kampf spezialisiert bekommt dabei +5 auf den zu unterwürfelnden Wert. Über viele Würfe (sagen wir, ab etwa 50) wird sich dieser Unterschied bemerkbar machen, aber in der Regel wird der Effekt marginal sein und durch die hohe Varianz des Würfelwurfes vollkommen entwertet werden. Es wird sich nach reinem (schlechten) Zufall anfühlen, ob nun der spezialisierte oder der unspezialisierte Kämpfer gewinnt.
Viel Spaß beim Hören und Danke für Euer Interesse!
- Artist: PiHalbe
- Title: ZufallImSpiel
- Album: PiCast — Fragmente
- Genre: Podcast
- Year: 2010
- Length: 6:56 minutes (4.77 MB)
- Format: MP3 Stereo 44kHz 96Kbps (CBR)
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Zufall als Entscheidung
Drak — 19. July 2010 - 0:08Ich denke, Zufall durch Würfel hat im Rollenspiel den Effekt, dass auf Basis meiner Entscheidungene und Bedingungen der Welt (und meines Charakters) das Ergebnis einer Handlung festgelegt wird.
Ist der Zufall dabei zu schwach, wird das Spiel zum reinen Strategiespiel. Es wird trocken.
Ist er allerdings zu stark, werden meine Entscheidungen, die Werte meines Charakters und die Welt entwertet.
Zwei extreme Beispiele: Nehmen wir an, dass Charakterwerte von 2 bis 5 gehen. Nehmen wir weiter an, dass zur Bestimmung das Ausgangs einer Situation ein W6 geworfen wird. Ist er kleiner oder gleich des Wertes, schafft Charakter das, was er erreichen wollte.
Mit minimaler Mathematik ist damit schon klar, dass zu jeder Zeit die Gefahr eines Fehlschlags bei 18% liegt, und dass jede Probe mit mindestens 18% Wahrscheinlichkeit gelingt. Die stärkste Kriegerin kann versagen, wenn sie einen Tisch umstoßen will, und selbst der kleinste Hänfling kann es schaffen, eine massive Tür aufzubrechen. Bei 6 Spielerinnen in der Runde wird im Durchschnitt jede Probe irgendjemandem gelingen, wenn sich nur alle daran versuchen.
Auf die Art entscheidet der Zufall effektiv nur mit einer gewissen Gewichtung darüber, wer eine Probe schafft, aber die Werte der Charaktere sind relativ unwichtig, und die Schwierigkeit der Probe (der Rest der Welt) zählt gar nicht.
Das Regelwerk entwertet also sowohl die Werte der Charaktere und der Welt, als auch die Entscheidungen der Spieler (egal wie dumm sie sich anstellen, die Chance geht nie unter 18%). (Dein Beispiel ist allerdings noch etwas krasser…)
Nehmen wir ein anderes Regelwerk an: Die Charaktere haben Werte von 1 bis 6, und jede Aufgabe hat eine Schwierigkeit von 1-6. Hat der Charakter eine Eigenschaft, die mindestens so hoch ist wie die Schwierigkeit, dann gelingt ihm die Aufgabe automatisch.
Damit können Spieler im Vorraus wissen, wie eine Handlung ausgeht und können so vollständig vorplanen. Hier wird die Geschichte vorberechenbar und ein Gutteil an Spannung geht verloren. Selbst Universalis vermeidet das, indem bei einem Konflikt der Wert der Fakten in Würfel umgerechnet wird.
Einen ähnlichen Effekt erhalten wir, wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit bei vielen Werten über 95% geht.
Beide Extreme finde ich eher unschön.
Das Ideal für mich ist dagegen, dass jeder Wurf eine klare Enscheidung trifft, die deutlich durch die Entscheidung der Spielerin (was mache ich, und wie), die beteiligten Charaktere (Werte) und die Welt (Mindestwurf, bzw. NSC-Werte) beeinflusst werden.
Idealerweise in ähnlichen Teilen. Die Entscheidung der Spielerin legt fest, welche Werte ihrer SC abgefragt werden und welche Schwierigkeiten sie hat. Wenn die Werte deutliche Unterschiede ausmachen (und sich Werte und Schwierigkeit je nach Entscheidung deutlich unterscheiden), ist die Entscheidung der Spielerin wichtig. Wenn Charakterwerte und Mindestwurf ähnlich viel ausmachen, werden beide gleich stark im System repräsentiert. Damit die Entscheidung der Spielerin wichtig ist, sollte es viele Möglichkeiten geben, ein Problem anzugehen, bei denen jeweils andere Werte genutzt werden.
Ein „verdammt es geht minimal schief; hätte ich nur 1% höher gewürfelt“ ist für mich allerdings unbefriedigend. Dadurch wäre die Entscheidung nicht klar, sondern eher „hey, hätte ich nicht noch 1% Bonus bekommen, wenn…?“
Aus dem Grund ist das EWS bei einfachen Würfen linear verteilt: Es geht um klare Entscheidungen durch den Wurf, nicht um perfekte Simulation.
Frage für die Entscheidung über die „Determinismusquote“ des Systems: Wie viele für alle Beteiligten unberechenbare Wendungen durch das Würfelsystem wollt ihr im Spiel?
Mir persönlich waren es in Gurps zu wenige (und es gab zu wenige Modifikatoren durch die Handlungen der Spielerinnen). Beim Kampf in DSA waren es mir dagegen in den niedrigen Wertebereichen zu viele (Attacke 8: 40% zu treffen, das Kampfgeschehen wird mehr durch die Würfel als durch meine Entscheidungen bestimmt), in mittleren wurden sie sinnvoll (Attacke 15: 75% Chance zu treffen) und bei hohen wurden sie zu wenige (Ich treffe eh immer…).
Im EWS habe ich deswegen den normalen Mindestwurf als 9 festgelegt, so dass ein durchschnittlicher Char (Wert 12) eine Erfolgschance von 83% hat. Die Ideen der Spieler klappen auf die Art meist, sind also wichtig. Gleichzeitig müssen sie das Risiko eines Fehlschlags miteinbeziehen. Die Erfolgschance von sinnvollen Einzelhandlungen bei etwa 83% zu haben, hat sich bisher in unseren Spielen als sehr befriedigend erwiesen – selbst bei Kämpfen.
Zufall durch Mitspieler
Baldrick (not verified) — 19. July 2010 - 10:35Interessanter Beitrag! Allerdings würde ich die Entscheidungen oder Einflüsse durch Mitspieler nicht als zufällig bezeichnen, da man die Leute doch, gerade wenn man sie gut kennt, einschätzen und berechnen kann und auf ihre Entscheidungen am Tisch auf vielfältige Weise einfluss nehmen kann. Bei neuen, vielleicht noch sehr intuitiv oder sprunghaft handelnden geht es noch am ehesten in Richtung Zufall. Insgesamt denke ich auch, dass ein gewisses Maß an Zufall gut ist, das ganze spannend macht und für neue Herausforderungen sorgt. Obwohl ich auch nichts gegen Schach habe! Langweiliges Spiel für euch?
Spieler
PiHalbe — 21. July 2010 - 18:02Klaro, das kommt darauf an, wie autark die Spieler sind. Aber auch jemand, mit dem man seit vielen Jahren gespielt hat, kann einen dann und wann gehörig überraschen und dadurch sozusagen Zufall ins Spiel bringen.
Und gerade Schach ist doch das Proto-Beispiel für Zufall durch andere Spieler. Wüsstest Du nämlich, was der andere macht, könntest Du Dir die perfekte Gegenfolge einstudieren und BAM! wärst Du Schachgroßmeister.
Zumindest ist es diese Art von Zufall, die ich u.A. meinte.
Schach
Drak — 21. July 2010 - 17:21@Baldrik: Schach finde ich klasse und spannend. Es fehlt aber halt ein Teil von dem, was Rollenspiele toll macht.
Schach ist eine direkte Konfrontation zwischen mir und meiner Mitspielerin.
Rollenspiel ist für mich mehr…
Zufall, Würfel und Alternativen
Kellermeister (not verified) — 21. July 2010 - 22:55Zufall im Spiel ist ein zweischneidiges Schwert.
Abhängig vom der Art des Spiels kann es ein spannungssteigerndes Element sein oder aber das Spielvergnügen drastisch schmälern.
Gerade beim Brettspiel mit strategischem Charakter kann zuviel an Zufallselement ein unendliche quelle von Frust darstellen.
Ich bin von Hause aus mehr der Rollenspieler, mit einem Focus auf dem Geschichten erzählen. Meine Spieler sind jedoch anders
mehr auf Ergebnis orientiert mit einer großen Diskrepanz zwischen Simulation (ich bin stärker und besser - warum muss ich würfeln) bis hinzu zu, ja ja bitte laß mich würfeln.
Das Würfeln im Rollenspiel trägt wie kaum etwas anderes im Spielablauf zum Charakter des Spieles bei - denn Würfeln ist spielen.
Doch wie Groß der Frust, wenn dann alles was man anfängt scheitert, weil die Würfel nicht mit einem sind. Weil man Pech hat.
Ich selbst mag das Zufallselemnt im Spiel, ein Teil der Spannung rührt letztlich davon her dass der Ausgang einer Probe ungewiß ist, und das obwohl man gut ist (wertetechnisch). Um dieses Zufallselement kalkulierbarer zu machen sind wir auf Karten statt Würfel umgeschwenkt. Eine Kartenhand, die sich im Spiel erneuert beinhaltet das Zufallselement, wann ich jedoch diese Karten spiele, wann die schwachen Karten, wann die Starken ist mir, dem Spieler überlassen. Damit hat der Spieler einen größeren Einfluß auf das Glückselement in einer bestimmten Szene, und wie beim Würfeln ist der Aspekt des "Spielens" immer noch vorhanden.
Für Geschicklichkeitsproben eignen sich zum Beispiel hevorragend Mikadostäbe. Wie sie ausgelegt werden bestimmt der Zufall, wieviele ich ziehen muss ohne das etwas wackelt bestimmt die Schwierigkeit einer Situation modifiziert von der eigenen Geschichklichkeit, und auch hier ist wieder das "Spielen" ein wesentlicher Bestandteil. Quasi das Spiel im Spiel.
Das ist die Art von Zufallselement im regeltechnischen Teil, wie ich ihn im Rollenspiel gerne mag.
Rollenspiel vs. Brettspiel
PiHalbe — 22. July 2010 - 7:12Ich habe mich in meinen Beispielen ja größtenteils auf Brettspiele bezogen, da man hier abstrakter mit dem Zufall umgeht. Für Rollenspiele verschiebt sich das Ganze natürlich ein wenig, da er direkt an die Fiktion gekoppelt ist. Weil hier öfters auch der Weg das Ziel ist (und nicht nur das bestmögliche Abschneiden). Beim Rollenspiel ist also das Risikomanagement bisweilen nicht so spannend.
Um mal ein ganz doofes Beispiel zu bringen: Es ist mir egal, ob ich den Drachen auch besiegen könnte, indem ich die Höhle einstürzen lasse … eigentlich will ich ihm mit dem Schwert eigenhändig den Kopf abhacken.
Da kann natürlich eher Frust aufkommen, wenn der Zufall einem einen Strich durch die Rechnung macht. Aber Zufall kann in dieser Hinsicht auch bedeuten, dass der eSeL einem schon den Versuch verwehrt o.Ä..
In der Hinsicht finde ich konfliktbasierte Systeme sehr schön. Würfle (oder anderes) nur, wenn alle Ergebnisse interessant sind.
Die Mikado-Stäbchen geben einem da natürlich mehr Kontrolle, im Sinne, dass man es selbst in der Hand hat. Andererseits sehe ich da auch wieder das Problem, dass es auf Spielerfähigkeiten drauf an kommt (genauso bei Dread). Daskann gut gehen, muss es aber nicht.
Andererseits ist auch das Einschätzen von Wahrscheinlichkeiten sowie der anderen Spieler eine Spielerfähigkeit, die im Rollen- wie Brettspiel gefragt ist, und in dieser Hinsicht unfair sein kann.
Würfel
Drak — 23. July 2010 - 11:03Würfel geben uns beim Spielen außerdem eine gespannte Erwartung auf das, was durch unsere Handlung passiert.
Im Film und in Büchern ist die Spannung da, weil wir nicht wissen, was der Autor geplant hat.
Wenn war aber frei bestimmen, was wir machen, dann fehlt diese Spannung.
Die Würfel als Entscheidung geben die Spannung zurück, und zwar stärker als in Komsummedien: Während ich in Büchern oder Filmen oft abschätzen kann, wie eine Szene ausgeht (z.B. indem ich schaue, was die Geschichte braucht), kann ich das bei Rollenspielen nicht.
Der Zufall durch Mitspieler ist teilweise einschätzbar wie die Ideen des Autors. Der Zufall durch die Würfel ist das nicht. Auf die Art liefert er wirkliche Spannung.
Und wenn wir jetzt noch bedenken, dass Würfel oft genau das tun, was die Geschichte braucht (Statistik ist da gerne mal seltsam), wir aber nie darauf bauen können, dass sie es immer tun, geben sie Geschichten ein Spannungselement, das ohne Würfel (=Zufallselement) nicht gegeben wäre.
Außerdem bekommt eine eigentlich recht einfache Situation dadurch die unerwarteten Wendungen, die wir in der viel komplexeren Realität erleben.