Zamonische Erlebnisse IXX: Überraschung in Atlantis
PiHalbe — 10. May 2009 - 9:10

Atlantis. Metropole Zamoniens. Schmelztiegel der Daseinsformen und Kulturen. Wiege der Kunst, Zentrum des turbulenten Chaos, die facettenreichste Stadt des Kontinents. Sollte man meinen. Dem ist aber nicht so. Nicht mehr.
Die Straßen sind verlassen, statt buntem Treiben nur marschierende Selbling-Patrouillen. Die Gebäude der unterschiedlichsten Stile zu Einheitsbrei geformt, zwischen ihnen Wæchslinge atlantischer Größe. Gerade Gassen, oktagonale Plätze, rechte Winkel. Tristesse non-plus-ultra. Und über allem: riesige Schwärme von Kakertratten.
Immerhin wissen die Helden nun, dass sie hier richtig sind. Irgendwo in dieser Stadt muss die Wurzel allen Übels, dieser Oktaeder, sein. Yamid beschließt, die alte Wache aufzusuchen und die Unterlagen nach Auffälligkeiten zu untersuchen. Die anderen — Cuador, Wilhelm, Gompfo und Nachtigaller in der Gandalfiere — sorgen derweil für Ablenkung und nehmen Wæchslinge mit dem Kreativgewehr™ aufs Korn. Leider gereicht die so freigesetzte Inspiration nicht, die Gleichförmigkeit Atlantis' ernsthaft aufzubrechen. Dazu kommen die Schwierigkeiten, den gefräßigen Kakertratten auzuweichen, die sich über Teile der Gandalfiere hermachen.
Die Selblinge waren zum Glück noch nicht sehr gründlich. Es finden sich noch einige Aufzeichnungen. Eine macht Yamid stutzig: einige Wochen, bevor die Vorfälle ihren Lauf nahmen, eröffnete der Kult Ebelglins* einen Tempel. Der Kult fordert Gleichheit, Ordnung und rechte Winkel. Die Helden wollen sich einmal vor Ort umsehen. Der strikt geometrisch ausgerichtete Tempel befindet sich just am Fuße der Verlassenen Gebäude — leer stehende Bauten ohne Herkunft, die von allen Bewohnern Atlantis' gemieden werden. Wer weiß, was sich darin befindet?
Um den Tempel herum tummeln sich große Pulks an Selblingen (die Wæchslinge scheinen sich eher gleichmäßig zu verteilen). Mit einem gezielten Schuss, wird einer der Selblinge zurück in eine normale Daseinsform verwandelt. Doch nicht lange — die umstehenden Selblinge machen den Ausreißer sofort wieder zu einem der ihren. Mit Cuadors Stock und ein paar beherzten Schlägen drischt Nachtigaller auf die Antenne ein, um einen breiteren Strahl zu erlauben. Doch simple Berechnungen ergeben, dass er die Selblinge damit nicht länger als zwei Stunden in Schach halten kann. Während Nachtigaller aus allen Rohren feuert und den Kakertratten zu entgehen versucht, dringen die vier Helden im allgemeinen Verwandlungstrubel in den Tempel ein.
Darin herrschen strikte geometrische Formen. Hexagone, Würfel, goldene Schnitte, und hinter dem oktaedrischen Altar eine oktogonale Tür, sauber in zwei Hälften geteilt mit identischen Schlössern. Yamid begibt sich daran, die Pforte zu öffnen — da die Schlüssel eine schlichte quadratische Form haben, kein Problem für einen geübten Polizeigehilfen. Gerade rechtzeitig — machen sich jetzt doch drei Selblinge auf den Weg in den Tempel.
Hinter der Türe liegt eine weitläufige Halle, leer und staubig, verlassen. Wilhelm macht Spuren im Staub ausfindig. Genau eine. Sie führt in ein zylindrisches Treppenhaus. Spiralförmig führt eine schmale Treppe viele hundert Stockwerke nach oben. Und auch nach unten in die Dunkelheit. Ein Geländer gibt es nicht und in der Mitte des Raumes klafft ein bodenloser Schacht gigantischen Ausmaßes. Lange Kupferröhren und Ketten hängen von oben herab.
Die Spur führt nach oben. Weit nach oben. Und teilt sich auf, denn hie und da führen Öffnungen von der Treppe in weitere weitläufige Hallen ohne Einrichtung. Yamid erkennt es als erster: Die Spur teilt sich, weil es in Wirklichkeit hunderte, wenn nicht tausende von Spuren sind, perfekt in einander gelegt. Selblinge eben. Langsam kommen die Helden dem Ende der Treppe entgegen. Gigantische Kupferkessel hängen unter der flachen Decke, durch welche die Treppe nach oben führt. Als sie von unten Schritte hören, fliehen die vier in eine der Hallen. Doch die drei Selblinge erkennen die abweichenden Spuren und stellen unsere Helden. Sehr zu ihren eigenen Ungunsten, stürzen sie doch bald einer nach dem anderen durch das schier endlose Treppenhaus hinab.
Bald ist die Zeit abgelaufen, die Helden müssen sich eilen, bevor die Selblinge ihnen auf die Schliche kommen. Am Ende der Treppe gelangen die Helden in eine große Kuppel an der Spitze des Gebäudes. Die Kuppel besteht aus Glas, eingefasst in Metallstreben, die allerlei geometrische Formen abbilden. Der Raum ist vollständig leer (und staubig), bis auf ein kleines Podest. Erst ist es kaum zu erkennen, doch als das Sonnenlicht darauf fällt, erkennen die Helden den Oktaeder. Ein perfekt geformtes, durchsichtiges Gebilde ist in das Podest eingefasst.
Da ist er! Er hat mich verraten. Vernichte ihn! spricht eine unangenehm raue Stimme in Cuadors Kopf. Cuador springt mit gesenkten Mundwinkeln vor und drischt auf den Oktaeder ein. Nichts passiert, nur sein Arm schmerzt.
Er hat mich betrogen. Der Deal ist geplatzt. Vernichte ihn! Seine Freunde machen sich Sorgen um den verwirrten Cuador und sind gleichsam geschockt, dass der Oktaeder nicht zu zerstören ist. Auch nicht durch Gompfos Teufelsfelszyklopenmuschelhorn — doch immerhin erzittert der Stein leicht.
Wenn es so nicht geht, dann anders. Ich habe noch diesen Schreibling als Trumpf im Ärmel, damit werde ich ihn ausboten. Wir müssen hier weg. Nimm mich mit! Heb mich auf! Unter der Fassung findet sich ein kleiner Haufen Dreck. Cuador kriecht darauf zu. Wilhelm weiß nicht, was los ist, will Cuador aber trotzdem aufhalten. Dieser streckt sich bis ans Äußerste und kann mit seinen Lippen gerade so den Krümel Dreck — Zamomin — erreichen und schlucken.
Yamid fliegt los nach draußen, den Professor holen, der ohnehin nichts mehr gegen die Selblinge ausrichten kann. Diese sind schon auf dem Weg in das Gebäude, ihre gleichförmigen Schritte auf der Treppe zu hören. Durch ein gebrochenes Fenster steigt Nachtigaller zu den Helden herab, während jeweils einer von ihnen versucht, die lästigen Kakertratten abzuhalten.
"Oho! Ein perfekt geschliffener Edelstein. Keine Ungenauigkeiten auf der Oberfläche, perfekte Winkel, keine Unreinheiten darin. Ganz erstaunlich." Nachtigallers Analyse bestätigt die Vermutungen der Helden: der Kristall ist die Wurzel der Selblinge. "So etwas, kann man nicht durch rohe Gewalt vernichten." Und auch der Inspirationsstrahler zeigt keine Wirkung. Die Wellen werden gebrochen und quer durch den Raum geworfen. Er funktioniert nur, wenn man einen Ansatzpunkt hat. Ohne die winzigste Saat, ist der Strahl wirkungslos.
"Aber als ich in das Horn geblasen habe, hat er vibriert!" wirft Gompfo ein.
- "Aber ja! Natürlich! Mit Geräuschen können wir ansetzen, darauf muss ein Kristall reagieren. Wir kennen das ja alle von der Beliebtheit von Gläsern und Kristallen in der Blutschinkischen Oper. Am besten nehmen wir Musik. Gute Musik hat vier Komponenten: Etwas feinsinniges, etwas allumfassendes, etwas chaotisches und etwas rhythmisches." Bei letzterem Punkt, fängt der wackelige Professor an, die Hüfte zu schwingen.
Na, die Instrumente sind schnell gefunden. Gompfo bläst auf Nautilus' Horn und steuert den allumfassenden, tiefen Bass bei, der den Kristall aufbrechen soll. Wilhelm nimmt die Trompaune von Ocherij, ihr feinsinniger Klang vermag in die kleinen Ritzen einzudringen. Cuador steuert seinen chaotischen, schiefen Gesang bei, der den Kristall von innen aufbricht. Und Yamid gibt auf seiner Trillerpfeife den Rythmus vor, der die drei Kräfte in Resonanz bringt.
Professor Nachtigaller gibt den Orchesterleiter. Schon dringen Schwärme von Kakertratten ein. Jetzt muss es schnell gehen!
"Und eins, und zwei, und drei … im Takt! …"
Eine bunte Symphonie erschallt im Raum und bricht sich in den Kristall herein, oben unter der Kuppel kreisen die Kakertratten und auf der Treppe sind die Selblinge schon bedrohlich nahe gekommen.
Da zerbirst der Oktaeder in Trillionen und Aberfantastilliarden winziger asymmetrischer Splitter, die sich im ganzen Raum verteilen. Zeitgleich drehen die Kakertratten ab und eine dumpf brummende und alles erschütternde Welle geht durch den Turm, durch Atlantis. Alle Symmetrie bricht auf und lässt Abwechslung, Inspiration und Vielfalt zurück. Die Selblinge verwandeln sich zurück in die verwirrten Einwohner Atlantis. Straßen winden sich und Gebäude winkeln sich zurück in ihre alte Form.
Ja, und jetzt komm zu mir, nach Unbiskant! Jaa! Und vorher: erschlage Deine Freunde! Doch die können Cuador aufhalten, bevor er etwas unternehmen kann. Es muss das Zamomin sein, dass ihn so beeinflusst! Nachtigaller kramt seinen neu entwickelten Multidetektor heraus. In der Tat, der Anhänger um Cuadors Hals, das alte Familienerbstück dieser verrückten Fhernhachenfamilie: dort drin findet sich Zamomin!
"Es gibt nur einen Weg, das Zamomin zu vernichten. Wir müssen es in einen Vulkan werfen. Den Maulwurfsvulkan in Unbiskant. Nur in seinem Feuer kann das Böse, das ich schuf, vernichtet werden. Du, kleiner Freund wirst diese Last bis dorthin um Deinen Hals tragen. Du darfst nicht in Versuchung geraten. Doch deine drei Gefährten werden Dich begleiten. Das Zamomin in die Flammen werfen, kannst jedoch nur Du allein! Auf, auf! Wir haben viel zu tun! Es ist ein harter Fußmarsch durch viele Schluchten, Wälder und Sümpfe. Viele Bedrohungen lauern am Wegesrand und könnten einen jeden von Euch dahinraffen. … Zum Glück werden wir fliegen."
Nach dieser Anstrengung merken Cuador, Wilhelm und Yamid wieder, dass ihnen immernoch etwas fehlt. Seit dem Essen in Atlantis' Pein fehlen ihnen Zuversicht und Charisma, Gewandheit und Geistesschärfe sowie Aufmerksamkeit und Pflichtbewusstsein. Auf dem Weg nach unten verpassen sie die richtige Abzweigung nach draußen und landen ganz unten in den Abwasserkanälen Atlantis'. Dort finden sich alchimistische Apparaturen und große Kolben, die mit Wörtern wie "Zuversicht", "Geistesschärfe" und "Aufmerksamkeit" beschriftet sind. Tatsächlich hat hier der Kristall ein Sammelsorium an Charaktereigenschaften aufgebaut, die Essenzen aller Charakterausprägungen. Gesammelt von den Opfern des Restaurant Atlantis' Pein. Auf's beste konserviert.
Die Helden holen sich ihre Merkmale zurück und machen sich nun — deutlich gestärkt und viel enthusiastischer — auf den Weg nach Unbiskant.
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Migration der Kommentare
PiHalbe — 26. August 2009 - 9:34Ende, wir kommen
Ihr werdet es sicher schon gemerkt haben: Es geht mit schnellen Schritten auf das Ende der Kampagne zu. Noch ein Eintrag trennt die vier Helden von der Rettung Zamoniens … oder dessen Untergang.
Dann kommen zwar noch ein paar ergänzende Einträge, aber die Chronik ist dann vorbei. Ein- für allemal.
Leider.
Hat viel Spaß gemacht. :-)