Mutant — Undergångens Arvtagare (EinzelKnaller)
PiHalbe — 14. May 2009 - 8:39
Bei meinem Studienaufenthalt in Schweden habe ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, auch in einen drei schwedische Rollenspielläden zu gucken und dort etwas zu erstehen. Herausgekommen ist Mutant — Undergångens Arvtagare (Mutant — Erbe(n) des Untergangs), ein skurriles postapokalyptisches Rollenspiel in Zentralschweden. Kaum zwei Jahre später haben wir es getestet …
Irgendwann trat die Katastrophe ein und vernichtete die Hochzivilisation, die wir kannten. Nach Generationen in den Ruinen hat sich eine neue Zivilisation — beherrscht vom Kaiser Thorulf Scharfrichter — gebildet, einem Mittelalterlichen Städtebund gleich. Jenseits davon liegen feindliche Reiche, das Ödland und die Zonen (in die sich nur verzweifelte Existenzen und verrückte Schatzsucher wagen). Die Gesellschaft besteht nicht nur aus Menschen: durch die Katastrophe haben sich Mutanten gebildet, die über eine angepasste Biologie verfügen (3 Arme, psionische Kräfte, Magnetsensoren, …) und sogar das Tierreich spielt verrückt: einige Tiere haben sich entschieden, von nun an auf den Hinterbeinen zu gehen und sich menschenähnlich zu gebaren. Die Mutanten sind zwar alltäglich, aber noch immer werden sie von den Menschen oft gefürchtet oder gehasst. Technisch ist der Städtebund auf mittelalterlichem Niveau, hat sich aber einiges an Forntechnik (Forn- = aus der Vergangenheit) abgeschaut. In den Zonen sieht man noch die Überreste der alten Zivilisation und jeder Glücksritter hofft auf einen ordentlichen Fornfund. Bestes Beispiel für Forntechnologie im Alltag bilden sicherlich die Automaten; manche verrichten mechanisch ihre Dienste, andere haben ein gewisses Eigenleben entwickelt und alle sind begehrte Ware.
Wie man sieht, besitzt Mutant keine wirklich einzigartigen Elemente in der Spielwelt (und auch das Regelwerk ist sehr klassisch), sondern hat aus verschiedenen Bereichen all das zusammen geklaut, was eigentlich immer schon mal cool gewesen wäre. Dabei kombiniert es die Elemente auf natürliche Weise, aber ohne eine Eklärung für alles zu geben (was besser ist, als eine fadenscheinige solche). Dabei treffen Unmengen an Skurrilitäten auf einander und geben dem Ganzen einen schmunzelnden Unterton, ohne aber in Slapstick zu verfallen. Mutant kann man durchaus sehr ernsthaftig spielen. Was mich letztendlich überzeugt hat, das schwedische Spiel zu kaufen, ist die skurrile Grundstimmung, die über allem liegt, gepaart mit etwas Noir-Flair. Die (meiner Meinung nach) sehr, sehr guten Illustrationen vermitteln darüber hinaus sofort, worum es geht.
Hier einmal ein Kurzabriss der Spielercharaktere:
- Eine Psionikerin, die einen Einsiedlerhof führt und dort winzige Äpfel und riesige Kürbisse anbaut. Die Gebäude setzte sie Stein auf Kanalisationsrohr mit ihrem Geist.
- Einen Servomaten, der die Module "Karaoke 2.0 Singer" und "Obst — Schälen, entkernen & entsaften" besitzt und über alle Maße höflich ist. Er hilft auf dem Gehöft.
- Ein mutiertes Eichhörnchen. Sie hilft bei Reparaturen und wohnt in einem Baumhaus direkt auf dem Hof. Schleichen und klettern sind ihr Ding.
- Einen mental mutierten Frosch, der als Fischer an einem nahen See arbeitet. Er kann die Fäden der Wahrscheinlichkeiten neu verknüpfen und Gedanken lesen.
- Einen ausgestoßenen, mysteriösen Städter, der ebenfalls über psionische Kräfte wie Illusionen verfügt, sich aber sehr verschlagen gibt und Kontakt scheut.
Leider kein normaler Mutant dabei, aber so war es auch sehr unterhaltsam. Um den Artikel kurz zu halten, hier eine Auflistung. Wir hatten:
- Einen fallenden Stern.
- Einen verschwundenen Hühnerstall.
- Einen Drohbrief.
- Eine breite Bresche durch den dichten Wald in Richtung Zone.
- Einen Trupp kaiserlicher Soldaten mit einer Mission.
- Einen gigantischen Kampfroboter, dem man in Fornzeit versehentlich das Agrarbot-Programm "Hühner" aufgespielt hatte.
- Eine drastische Umprogrammierung.
- Eine Fernbedienung mit dem großen roten Knopf.
- Drei Arme an dem einen Mutanten und zwei Köpfe an dem anderen. Beide auf einem alten klapprigen Fahrrad unterwegs in die Zone.
- Psionische Kämpfe.
- Ein Loch im Boden und einen alten Satalliten, der Bilder der Erde von oben funkt. Bis er verstummt.
Gespickt mit allerlei Abstrusitäten, aber nie lachhaft, ging es quer durch eine sehr lose verknüpfte Handlung (durch welche die Länge der Geschichte gut geregelt werden konnte). Wir hatten viel Spaß, auch wenn nicht alles sehr stringent logisch war.
Als Regelwerk haben wir erneut das EWS verwendet. Da es ein EinzelKnaller war, haben wir uns auf die Basisregeln beschränkt, verknüpft mit dem Adhoc-Magiesystem-Modul und einigen Anleihen an das Kampfmodul. Die Charaktererschaffung habe größtenteils ich vorgenommen, aber es sind alle schnell damit klar gekommen. Das Spiel lief dann sehr flüssig. Durch das fixe Regelsystem haben wir nur sehr wenig Zeit auf Regelebene verbracht und hatten mehr Muse, auf das Setting einzugehen. Alle Anwesenden waren sehr mit dem EWS zufrieden. Die vier größten Vorteile waren wohl:
- Sehr leichtgewichtig und schnell.
- Geht sehr auf Welt und Charaktere ein.
- Perfekte Übertragung von Werten in Worte und umgekehrt.
- Modularität.
Alles in allem ein sehr schöner Abend, der Lust auf mehr gemacht hat — sowohl auf das skurrile Mutant (das es leider nicht auf Deutsch gibt) als auch das flexible EWS. Alles bestens, gerne wieder.
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Migration der Kommentare
PiHalbe — 26. August 2009 - 10:32Coole Welt, Charaktere und Geschichte :)
Sowohl die Welt als auch die Charaktere und die Geschichte klingen cool!
Am Besten hat mir die die Idee mit den zwei Mutanten auf den Fahrrad gefallen ;)
Und ich freu' mich natürlich, dass das EWS für euch gut funktioniert! Ich kann mir gerade kaum ein größeres Lob für das Design vorstellen als deinen Beitrag. Es fühlt sich verdammt gut an :)
Danke! Für die schöne Beschreibung und für das Lob :)
EDIT: Design im Sinne von Regeldesign, nicht Layout...
Frage
Macht ihr bei euren "Einzelknallern" die Charaktere immer direkt vor der eigentliche Spielrunde? Oder werden im Vorfeld "spielfertige" Charakter verteilt (Stichwort: Zeitmanagement).
Dazu später mehr
Da sich unser EinzelKnaller mit schnellen Schritten dem Ende nähert, wollte ich demnächst noch einen Abschlussbericht verfassen, der dann auch auf so etwas eingeht.
Wie bei allem anderen haben wir da variiert. Charaktere kamen auf folgende Weisen zusammen:
Letztendlich war drittes — Charaktere nach Flaggen — am erfolgreichsten, nach breitem Konsens der Gruppe. Das benötigt wenig Regelkenntnis (seitens der Spieler), die Charaktere passen zu ihnen, man spart viel Zeit und die Charaktere können sauber ins Abenteuer integriert werden und vorab eine Gruppe bilden.
Danke
Viele Dank, diese Aufzählung werde ich wohl bei der Planung meiner zukünftigen One-Shots heranziehen und entsprechend je nach System/Setting abwägen.