Plotstrukturen im Rollenspiel
PiHalbe — 25. August 2009 - 15:33

Achtung: Theoriepost. Bloggerkollege 1of3 beschwerte sich neulich über die festgefahrenen Plotstrukturen in Rollenspielen. Ich habe ein wenig darüber nachgegrübelt und meine gesammelten Grübelungen will ich hier darlegen.
In Geschichten gibt es zwei Arten von Ereignissen:
- welche mit einer Bedeutung an sich
- welche mit einer Bedeutung im Bezug auf ein anderes Ereignis
Klassische Beispiele dafür sind etwa "Das Königreich bleibt bestehen" und "Die Truppen Daromars werden besiegt, damit das Königreich bestehen bleiben kann". Dies ist jetzt auf großen Skalen gedacht, aber das gilt bis hinunter zu kleinen Skalen. Erstere Ereignisse sind unhinterfragbar, sozusagen die Axiome der Welt oder Geschichte. Letztere haben einen Zweck. Sie arbeiten auf ein Ziel hin — ein anderes Ereignis.
Hier ein Beispiel:
Natürlich können Ereignisse sich auch verzweigen. Aber die Kette kann nur in Axiomen enden.
Abenteuer sind abgeschlossen, sobald alle Ereignisse vom zweiten Typ direkt oder indirekt in ein Ereignis vom ersten Typ gemündet sind. Dann sind alle Enden aufgerollt. Ansonsten bleiben je nachdem Cliffhanger, lose Enden, Anknüpfpunkte für ein weiteres Abenteuer oder Unverständnis der Beteiligten ("Und wofür war das jetzt gut?"). Letzteres ist nicht erstrebenswert (außer für Paranoia), während ersteres Spannung auf den Nachfolger aufbaut.
Außerdem kann man noch zwischen aktiv bespielten und bloß erzählten Ereignissen unterscheiden. Konflikte sind in der Hinsicht einfach Ereignisse, deren Bedeutung zwar schon fest steht, nicht aber ihr Ergebnis. Ich weiß, dass die Schlacht mit Daromar über das Schicksal des Königreichs entscheidet. Ich weiß nur noch nicht, welches Schicksal das ist.
Kommen wir zurück auf die Plotstrukturen. Der Handlungsfaden ist also nichts weiter als eine Reihe von Ereignissen des zweiten Typs (zielgerichtet), die früher oder später in Ereignissen des zweiten Typs (axiomatisch) münden. Dabei sind zielgerichtete Ereignisse von der Anzal her dominierend, sonst wird keine richtige Geschichte erzählt. Wenn alles nur einfach so passiert, erzeugt man weder Spannung noch Anteilnahme. Durch viele zielgerichtete Ereignisse, wird gewissermaßen auf das axiomatische Ereignis hingearbeitet.
Die Variationsmöglichkeiten sind also die folgenden:
- Wann werfe ich axiomatische Ereignisse ein?
- Gibt es nur ein solches Ereignis oder mehrere?
- Welche Ereignisse gestalte ich interaktiv und welche berichte ich nur?
- Wie sehr dehne ich die Entscheidung einzelner Ereignisse?
- Auf welchen verhältnismäßigen Skalen siedle ich die Ereignisse an?
Der klassische Aufbau, den 1of3 beschreibt, ist dass ich nur ein axiomatisches Ereignis habe, dem eine Reihe zielgerichteter Ereignisse voran geht. Dabei halte ich zunächst die Tragweite der Entscheidungen gering, bis ich schließlich ein zielgerichtetes Ereignis mit großer Tragweite und langer Dehnung anschließe, welches unmittelbar in die Erfüllung oder Nichterfüllung des axiomatischen Ereignisses mündet. Der sogenannte Showdown. Fast alle vorherigen Ereignisse haben auf diesen Showdown zugearbeitet und nur durch ihn entscheidet sich das axiomatische Ereignis. Der Showdown ist natürlich interaktiv.
Eine mögliche Variante dazu:
Oder mit Worten gefüllt:
Wenn einem diese Struktur nicht gefällt, der kann mit oben genannten Mitteln variieren.
- Es könnte mehrere axiomatische Ereignisse (besser gesagt: axiomatische Versprechen) geben, die an verschiedenen Stellen aufgelöst werden und nicht unmittelbar zusammen hängen, aber durch die Charaktere mit einander verknüpft sind.
- Die zielgerichteten Ereignisse könnten schon früh große Tragweiten bekommen. Die Auflösung des axiomatischen Versprechens ergibt sich nicht aus einem einzelnen sondern aus einer Reihe an Ereignissen. Wer möchte, kann so den Showdown durch eine non-stop-Spannung ersetzen. Falls eine klimatische Steigerung stattfinden soll, kann diese berichtet werden, da alle Entscheidungen schon vorher getroffen wurden.
- Mehrere kleine Showdowns können der Geschichte eine episodische Struktur geben. Immer wieder werden kleinere Axiome aufgelöst, während andere Zielgerichtete Ereignisse ihre endgültige Bedeutung noch nicht ausgereizt haben.
Ich denke, da ist genügend Raum, um zu variieren und aus dem "Nachforschung - Nachforschung - Showdown" auszubrechen. Allerdings ist die Sturktur, dass zielgerichtete Ereignisse axiomatischen voraus gehen und in diese münden unungänglich, wenn man nicht ein schaler Gefühl hinterlassen will. Trotz dieses Musters gibt es aber genug Spielraum, die Struktur einer Geschichte zu variieren, indem man beide Arten von Ereignissen neu kombiniert und in verschiedenen Konstellationen anwendet.
Ein etwas komplexeres Beispiel sei hier gegeben:
Sämtliche Graphen gibt es nochmal in voller Größe im Anhang. Vielen Dank fürs Lesen! Ich freue mich über Kommentare.
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ZielAxiome_Basic.png | 4.44 KB |
ZielAxiome_SimplePlotGeneric.png | 15.26 KB |
ZielAxiome_SimplePlot.png | 17.1 KB |
ZielAxiome_ComplexPlot.png | 30.16 KB |
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Hm...
[Unbekannt] — 27. August 2009 - 6:51Mir will einfach nicht in den Kopf, warum ich überhaupt eine solche Strukur im Vorhinein benötige. Phi: Nutzt du das als Stütze und Vorschlag für dich selbst, wie das Abenteuer/der Plot laufen könnten oder als absolut feste Struktur mit den vorhanden Möglichkeiten, von denen dann aber nicht abgewichen wird? Was machst du, wenn die Spieler mit einer Idee kommen, die in keiner der "Plot-Blasen" vorgesehen ist?
P.S.
[Unbekannt] — 27. August 2009 - 6:51P.S. Der Joni spricht hier :-).
Halt ein Theoriepost
PiHalbe — 27. August 2009 - 10:09Dieser Artikel hat erstmal nichts imperatives. Der Artikel diente allein der Reflexion, also "wie sieht das eigentlich im Inneren aus?".
Wenn man daraus etwas lernen kann, dann vermutlich folgendes:
Schaue, dass alle Ereignisse eine Bedeutung haben; eine Bedeutung an sich (Axiome), für spätere Ereignisse oder für das Folgeabenteuer.
Ursprünglich wollte ich ja nur analysieren, wie es zu diesen Situationen der Art "Nachforschung, Nachforschung, Showdown … ich könnt kotzen" kommt. Das liegt dann daran, dass diese Ereignisbäume flach sind und man sich unmittelbar vom einen zum nächsten hangelt, ohne abseits dieses Weges etwas zu unternehmen.
Bei ersterem Beispiel gibt es nur ein ausschlaggebendes Ereignis, auf das mit jedem anderen Ereignis unmittelbar zugearbeitet wird. Bei dem komplexeren Beispiel gibt es hingegen mehrere ausschlaggebende Ereignisse, die alle eine Bedeutung für sich haben. Die Ereignisse im Laufe des Spiels können sich jeweils direkt oder indirekt auf eines oder mehrere dieser ausschlaggebenden Ereignisse beziehen. So entsteht Komplexität, ein rundes Abenteuer und vielleicht so etwas wie Tiefgang im Bezug auf Entscheidungen: welches Axiom ist mir am wichtigsten?
Ich bin mir nicht sicher, ob man dies direkt für die Vorbereitung nutzen kann, aber es ist vielleicht nützlich, das im Hinterkopf zu behalten. Werde ich mal ausprobieren.
Übrigens, das Sandbox-Spiel unterscheidet sich in der Hinsicht ein bisschen davon, dass man auf Grund der Unbestimmtheit einige Ereignisse hat, die erst spät oder gar nicht in ein Axiom münden.
Edit: Wenn die Spieler auf etwas zuarbeiten, was für sie eine Bedeutung an sich hat (etwa Wiederaufleben des alten Tempels), dann haben sie damit ein neues Axiom geschaffen, auf das sich die Ereignisse im Spiel beziehen können.
Axiome und so.
Joni (not verified) — 29. August 2009 - 19:30Ich finde deinen letzten Satz sehr wichtig und möchte daran mal anknüpfen. Ich behaupte: Bedeutung im Spiel erhalten Handlungen sowieso nur durch Spielereinfluss, bzw. die Einordnung durch die Spieler. Axiome, wie du es nennst, lassen sich zwar vom Spielleiter vorbereiten und durchdenken. Manchmal kann das sicher die Sache im positiven Beeinflussen.Und manchmal ist es sowieso ganz klar: Die Endschlacht entscheidet über das Schicksal der Welt.
Aber oft nehmen Spieler die "vorgeplanten" Entscheidungsmöglichkeiten mMn gar nicht als solche wahr, während sie an anderen Stellen ansetzen wollen, um die Dinge in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ein guter Spielleiter wird darauf eingehen und so eventuell ein neues Axiom an einer Stelle schaffen, wo es gar nicht vorgesehen war.
Ich persönlich bin ja auch gar kein so großer Sandbox-Fan, das ist bei uns eher der Cloni. Wo wir uns aber einig sind, ist, dass die Spielerfreiheit und die Entscheidungsfreiheit, die Auswirkungen auf die weiteren Ereignisse hat, sehr wichtig ist. In der Praxis versuche ich so zu spielleiten, dass es einen Plotansatz gibt, auf den die Spieler eingehen können, wenn sie wollen. Es gibt Gegner, Organisationen, Schlüsselgegenstände, Geheimnisse und Informationen, die dramatische Potenzial bergen. Wie die Spieler aber mit dieser Ausgangssituation umgehen, ist ihre Sache. Ich versuche dann aber wiederrum, die Reaktionen der Akteure und die Geschehnisse regelmäßig neu zu bewerten auf Basis dessen, was die Spieler tun. Das klappt in der Praxis nicht immer perfekt, sorgt aber im Prinzip dafür, dass regelmäßige Entscheidungen getroffen werden, welche den Spielverlauf dann beeinflussen.
Klingt vernünftig.
PiHalbe — 31. August 2009 - 13:18Sobald der Spielleiter erkennt, dass die Spieler ein neues Axiom heraus gebildet haben (was sie oft genug in Gesprächen untereinander implizit ankündigen), hat er neue Möglichkeiten gewonnen. Er kann die kommenden Ereignisse nun auch mit Bedeutung in Hinsicht auf eben dieses neue Axiom versehen. Oder neue Ereignisse mit einer (direkten oder indirekten) Bedeutung für dieses Axiom einstreuen.
Sandboxen ist in diesem Hinblick dann ja eine Extremform dieses Prinzips. Ich streue als eSeL erstmal einige Ereignisse ein — ohne bisher ein Axiom gefasst zu haben — um den Spielern Inspiration zu geben. Ich warte, bis meine Spieler anfangen, selbstständig Axiome zu etablieren. Diese nutze ich dann um zielorientierte Ereignisse bezüglich dieser Axiome einzubauen. Et voilá: le plot!
Ich fürchte, meine Kritik war
1of3 (not verified) — 30. August 2009 - 11:36Ich fürchte, meine Kritik war ganz anders gelagert. Es geht darum, dass das Abenteuer mit einem Kampf, mit einer Actionszene, mit einer Anwendung des "Kampfsystems" endet.
Ich geb mal ein anderes Beispiel: Neulich bei D&D. Wir fanden eine uralte, elfische Bibliothek, vielleicht die größte der Welt. Da wurde auch gekämpft. Ziemlich zu Anfang sogar, wir mussten ja erstmal rein. Die Auflösung war aber nicht das Erschlagen eines Schurken, sondern was man mit dem Ding jetzt anfängt.
Oh, ok.
PiHalbe — 31. August 2009 - 11:58Das war dann eine Missinterpretation (vielleicht auch aus meinem löchrigen Gedächtnis). Daran kann man natürlich etwas ändern. Als wir Y2k (Freiform) im EinzelKnaller hatten, gab es keinen Kampf, da es kein Kampfsystem gab. Der letzte Konflikt war eine Entscheidung der Spieler, welchen Pfad sie für sich und die Welt einschlagen wollen. Das war seh spannend und ganz ohne Kampfsystem.
Das Vorfinale der Zamonienchronik hat sich ebenso in einem Konzert anstatt in einem Kampf abgespielt. Aber etwas äußerliche Bedrohung war natürlich trotzdem da, um Dramaturgie aufzubauen.
Allgemein muss ja für das Finale Spannung erzeugt werden. Das geht nur durch Konsequenzen. Und die wiederum werden durch Gewalt am leichtesten vermittelt. Aber es geht natürlich auch anders.
Bedeutung
Drak (not verified) — 5. September 2009 - 11:19Die Axiome erscheinen mir praktisch um im Hinterkopf zu behalten, was im Spiel anders ist als oft im Leben: Was Charaktere tun hat Bedeutung (die die Spieler auch erkennen).
Ob die Bedeutung jetzt vorher da ist, oder sich die SL die Bedeutung erst später überlegt ist dafür zweitrangig (ich neige z.B. zur Zeit eher zu letzterem :) ).
Dass Kämpfe oft den Abschluss bilden, sehe ich (auch?) eher darin, dass sie in den meisten Systemen die ultimative Eskalation sind. Die Spannung baut sich immer weiter auf, bis es irgendwann um Leben und Tod geht.
Sobald Gewalt das letzte Mittel ist, wird der Kampf um Leben und Tod auch die Ultimative Eskalation, in der sich alle Fäden verbinden (können).
Das ist aber natürlich eine hauptsächlich dramaturgische Technik. Wenn Geschichten einen Höhepunkt haben sollen, ist ein spannender Kampf das einfachste Mittel, um ihn zu erreichen.
Aber wenn es Risiken gibt, die größer sind als Leben und Tod (für manche Leute ist der Verlust eines geliebten Menschen durch psychische Probleme viel schlimmer - vielleicht sogar ausgelöst durch den Kampf am Anfang :) ), dann kann ein Finale ohne Kampf genauso spannend oder spannender sein.
Sehr interessanter Post. Ich
Entropy (not verified) — 23. May 2014 - 18:27Sehr interessanter Post. Ich habe für meine neue Spielgruppe eine Idee gehabt, die quasi eine Ebene über der Plotstruktur ansiedelt, der Abenteuerübergreifenden Struktur. Das ist natürlich was für langlebige Spielgruppen die öfter in der gleichen Spielwelt und den gleichen Charakteren spielt. Im Endeffekt läuft es auf das gleiche wir hinaus:
Üblicherweise gibt es immer einen Plot der von Anfang bis Ende an 1-n Abenden durchexerziert wird. Eine Stufe besser wird es, wenn der Plot strukturiert wird wie hier von Dir beschrieben. Aber Anfang und Ende des Plots sind immer fix und damit künstlich. Erstreckt sich der Plot über mehrere Einzelabenteuer spricht man von einer Kamapgne. Lange Kampagnen lassen sich ggf. von anderen Abenteuern unterbrechen.
Meine Idee ist die Weiterführung dieses Ansatzes: Man verwebt die Abenteuer, die Helden müssen sich entscheiden was sie zuerst nachgehen, entdecken neue Aufgaben während sie umherstreifen und kommen unter Umständen dadurch in Konfliktsituationen (zeitliche, weil man sich entscheiden muss wem man hilft, oder auch Plotrelevante sind denkbar).
Die Plotstruktur im Auge zu behalten ist eine Herausfoderung an den Spielleiter. Wie auch immer: Sofern man sich nicht verzettelt und einem Improvisieren mehr liegt als aufwendige Einzelplots vorzubereiten, kann so eine - nach meinem Gefühl - eine viel "natürlicheres" Erlebnis erschaffen was den Plot angeht. Ich experimentiere gerade damit und hoffe meine Spieler nehmen die Chance wahr und es verwirrt sie nicht mehr als mich selbst :)