John Sinclair — Das Abenteuerspiel
PiHalbe — 7. November 2009 - 16:22
John Sinclair — Das Abenteuerspiel liest sich verdammt gut. Die Atmosphäre der Hörspiele kommt sehr gut rüber. Kleinere Ungereimtheiten sind zu verschmerzen. Die Texte sind gut verfasst und lesen sich sehr einsteigerfreundlich. Leider sind das Solo- und das Gruppenabenteuer identisch und dies wird vorher nicht angekündigt! Das Basisbuch bietet über das mitgelieferte Abenteuer noch einige Ansätze für weitere Abenteuer, aber nicht übermäßig viele. Das Buch ist Teil 1 eines Zyklus von 10 Abenteuern. Sieht so ein modernes Rollenspiel aus?
Struktur
Bisher gibt es keine genaueren Informationen zu der Struktur der kommenden Bücher, aber nach dem Lesen des Basisbuchs drängt sich mir der Verdacht auf, dass Ulisses hier ein serielles — im Gegensatz zu einem modularen — Rollenspiel geplant hat. Das Basisbuch ist auf dem Buchrücken mit einer 1 markiert und enthält das erste Abenteuer eines 10-Abenteuer-Zyklus.
Meine Vermutung ist daher, dass es statt der üblichen Quellenbücher (Kampf, Ausrüstung, Abenteuer, Hintergrund, …) jeweils Fortsetzungen geben wird — wie auch beim Original. Es könnte bedeuten, dass Band 2 das nächste Abenteuer des Zyklus enthält, dazu eine erweiterte Asservaten-Kammer, etwas mehr Hintergrund zu den Hauptdarstellern des Zyklus, vielleicht eine Beschreibung einiger interessanter Stätten, erweiterte Regeln usw.
Auf gut Deutsch: auch wenn man sich nur für einen Aspekt des Rollenspiels interessiert, kommt man nicht um den Erwerb aller Bücher herum. Das hat sowohl Vor- als auch Nachteile.
Erscheinung
Das Buch hat einen stabilen Einband und ein praktisches rotes Lesebändchen (gerade für das Abenteuer sollte das nützlich sein). Die Seiten sind stabil und vollständig in Farbe bedruckt. Die Gestaltung mit Illustrationen ist angemessen: sowohl was die Menge als auch den Stil und Inhalt der Bilder angeht. Nur an einigen Stellen weicht das Bild von der Beschreibung just daneben ab (die leuchtend roten Augen des Schwarzen Tods als prominentestes Beispiel). Die Aufmachung ist düster-prollig — genau wie man John Sinclair erwartet.
Insgesamt ein schönes, kompaktes Buch, dass ich gerne im mein Regal stelle und herum zeige.
Inhalt
In John Sinclair — Das Abenteuerspiel schlüpfen die Spieler in die Rolle von jungen Geisterjägern, die in der gleichen Abteilung des Scotland Yard wie John Sinclair arbeiten — oder zumindest von dieser Abteilung angeheuert werden. Die Spielercharaktere sind dabei durchaus kompetent und können es mit den Streitkräften des Bösen aufnehmen. DasBuch richtet sich klar an Anfänger und Neueinsteiger. Ulisses möchte hier wohl einen neuen Markt erschließen. Aber ein Kapitel nach dem anderen:
- Wie alles begann klärt in den ersten 8 Seiten über die Geschehnisse der ersten 26 Hörspiele (die für mich relevante Zahl) oder 102 Romane auf, also dem gesamten Zyklus des Schwarzen Tods. Merkwürdigerweise taucht dieser allerdings im enthaltenen Abenteuer auf, so dass dieses Kapitel mehr ein Überblick als eine Vorgeschichte ist.
- Dann folgt das Soloabenteuer, das auf 52 Seiten direkt in die Handlung einsteigt. Vorsicht! Wer das Gruppenabenteuer spielen (also nicht leiten) möchte, sollte das Soloabenteuer nicht lesen! Für das Soloabenteuer sind keine Regelkenntnisse erforderlich. Der Spielleiter erhält hier einen immersiven Einblick in das später folgende Gruppenabenteuer. Das Soloabenteuer ist nicht schlecht, auch wenn es als Gruppenabenteuer nochmal einiges gewinnt.
- Dann folgen Die Regeln. Mit 24 Seiten inklusive Erläuterung für Einsteiger gibt sich das Kernregelwerk sehr schlank. Im Grunde gibt es nur einen Probenmechanismus, die Behandlung von Monstern und den Abenteuerpunkte-Schicksalspunkte-Mechanismus über den auch die Ausrüstung geregelt wird. Man muss sich die holden Stücke aus der Asservaten-Kammer erstmal verdienen!
- Nun geht es an Die Erschaffung eines Geisterjägers. Die knapp 20 Seiten sind größtenteils mit Sondereigenschaften belegt. Der eigentliche Mechanismus der Erschaffung ist sehr schnell erklärt und beinhaltet nur das zuteilen von Werten (4, 3, 2) auf die drei Eigenschaften (Körper, Geist, Seele) sowie das anheben einer Handvoll vorgefertigter Fertigkeiten auf den Wert 1. Ich bin ein Freund schneller Charaktererschaffung und mit dem Aspekt sehr zufrieden.
- Dann geht es in die Asservatenkammer, wo die Funktionsweise und insbesondere die besonderen Eigenschaften von Ausrüstungsgegenständen kurz erläutert werden. Hier hat man sich ein nettes Stärken-Schwächen-System überlegt. Bestimmten Gegnern ist mit verschiedenen Waffen unterschiedlich gut beizukommen. Auf den 10 Seiten findet sich genug für die ersten paar Spielabende, aber recht bald hat man den Fundus bestimmt erschöpft.
- Als letzter kleine Regelteil kommen die Sonderaktionen. Eine sehr interessante Sache: Über Erzähler-Schicksalspunkte (ESP) kann der SL ungelegene Ereignisse erkaufen. Er kann beispielsweise die Taschenlampe just im falschen Moment den Geist aufgeben oder das Magazin leer sein lassen, die Spielercahraktere auf glitschigem Boden ausrutschen lassen oder einen Todesdämon dazu bringen, Zombies auferstehen zu lassen. Anders herum können die Spieler dem SL solche ESP geben und sich dafür Vorteile oder Tipps erkaufen.
- Dann geht es direkt in Das Horrordorf, dem Gruppenabenteuer. Es handelt sich um den ersten Teil eines Zyklus, ist aber eigenständig und halbwegs abgeschlossen. Das Abenteuer geht über 62 Seiten und stellt damit das längste Kapitel des Buches. A propos Kapitel: Zyklen → Abenteuer → Kapitel → Szenen ist die offizielle Strukturierung. Das Horrordorf besitzt 3 Kapitel, an deren Ende jeweils die Schicksalspunkte der Charaktere aufgefrischt werden (welche Abenteuerpunkte werden, wenn man sie nicht ausgibt). Das Abenteuer ist recht solide und bietet Action und Nachforschung gleichermaßen. Viel Freiraum haben die Charaktere allerdings nicht — die Handlung ist sehr linear und der Einfluss der Spieler auf die Ereignisse ist begrenzt. Wenn auch vermutlich für Einsteiger gut geeignet, hätte ich mir etwas mehr erwartet. Aber der Spielbericht steht noch aus.
- Abschließend werden noch ein par Kreaturen der Finsternis beschrieben, auf welche die Charaktere in selbstgebastelten Abenteuer stoßen könnten und die jeweils besondere Eigenschaften und üble Überraschungen besitzen. Über einen Wurf in Geist+Okkultismus können die Spieler übrigens die Stärken und Schwächen einer Kreatur heraus finden. Ganz nett gelöst, wie ich finde.
- In Himmel und Hölle werden die großen Darsteller aus den Romanen / Hörspielen für das Spiel aufbereitet. Auch wenn ich persönlich eher Hemmungen habe, den Schwarzen Tod oder Suko plötzlich bei den Charakteren auftauchen zu lassen.
- Im Anhang finden sich dann noch Beispielcharaktere und Aktionskarten, die für das Spiel entweder kopiert oder vielmehr von der offiziellen Seite geladen werden können. Ganz hinten im Einband findet sich dann noch ein John-Sinclair-Poster.
Spielbarkeit
Alles in allem ein gut gefülltes Buch, das zu lesen viel Spaß bereitet und einen sicherlich für ein paar Spielsitzungen gut ausrüstet. Dann jedoch wird man vermutlich über den Inhalt des Buches hinaus gehen wollen. Es bleibt abzuwarten, was die nächsten Bücher bringen, wie sie aufbereitet sind und wie der Inhalt auf die Bücher verteilt wird.
Der Einstig sollte für erfahrene Rollenspiel ein Klacks sein und auch Neueinsteiger (mutmaße ich mal) sollten sich mit ein wenig Diskussion zurecht finden können. Derzeit spekuliere ich darauf, dass wir Charaktererschaffung, Regelerläuterung und das beiliegende Abenteuer an einem Abend über die Bühne bekommen. Wenn das gut geht, dann werde ich mich wohl mit ein wenig Inspiration aus Hörspielen und der Monster-Sektion an die Erstellung eines eigenen Falles machen. Leider gibt es im gesamten Buch keinerlei Hinweis darauf, was ein gutes John-Sinclair-Abenteuer ausmacht und wie man bei der Vorbereitung eines eigenen solchen vorgehen sollte. Es wird nicht einmal diese Option erwähnt (auch wenn der Inhalt darauf hindeutet, dass es durchaus vorgesehen ist)!
Diesen Punkt finde ich tatsächlich etwas kritisch und hoffe, dass in einem späteren Buch stärker darauf eingegangen wird. Schließlich sind dann selbst die vorigen Rollenspiel-Anfänger etwas erfahrener!
Probespiel
Das Probespiel steht noch aus. Sobald die Runde gelaufen ist, melde ich mich noch einmal mit dem ersten Praxisbericht von John Sinclair zurück.
Bis dahin wünsche ich Euch viel Spaß und danke fürs Lesen!
Bild: Ulisses
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Fokus auf dem Abenteuer
Drak — 7. November 2009 - 22:13Die Idee, den Fokus direkt aufs Abenteuer zu legen finde ich klasse!
Ich würde die Frage "sieht so die Zukunft des Rollenspiels aus?" nicht uneingeschränkt mit ja beantworten, aber für die Zukunft des Einsteigerrollenspiels (und damit des Rollenspiels für Leute, die nicht in eine bestehende Runde einsteigen) sieht es damit meinem Gefühl nach viel besser aus.
Auf die Art kauft sich die SL das Spiel, hat direkt Spaß beim lesen, eine Einführung in "was ist Rollenspiel" und zusätzlich die Vorbereitung zum Leiten beim Soloabenteuer und dann erst die Regeln.
Wenn es so gut ist, wie sich deine Beschreibung liest, dann ist es ein tolles Geschenk für alle Mystery-Fans, die bisher noch keine Rollenspieler sind, aber das Zeug zur SL haben.
Und dass man alle Bücher braucht, um das ganze Spiel zu haben, ist meiner Ansicht nach eher ein Vorteil - wenn es ankommt und Neulinge erreicht. Dadurch hat Ulisses nämlich eine recht sichere Geldquelle, da Spielleiter sich vermutlich Stück für Stück die weiteren Bände kaufen werden. Ich würde sagen, dass das ein guter Weg ist, den Erfolg der Abenteuer in DSA mit Quellenbänden zu verbinden.
Übrigens gefällt mir auch dein Bericht sehr gut. Er ist angenehm zu lesen und enthält die interessanten Informationen - naja, bis auf eine: Was kostet es?
PS: Kleiner Tippfehler: Übrigen -> Übrigens
PPS: Da habe ich heute erfahren, dass ich wieder bei PG kaufen kann, und grade am gleichen Tag erfahre ich, dass das Spiel von Ulisses wirklich klasse sein könnte. Allerdings habe ich bisher noch nie John Sinclair gehört... sollte ich vielleicht machen, bevor ich mich für oder gegen das Spiel entscheide :)
John Sinclair — Das
DeathraceKing (not verified) — 8. November 2009 - 1:57Hab doch gewusst, dass mein unangefochtener Lieblingsautor im RPG Sektor auch bei diesem Produkt keine schlechten Texte abliefern wird.
Klingt so, als ob das Spiel seine Sache richtig gut macht, und das Designziel "Einsteigerrollenspiel" erreicht wurde.
Ich glaub zwar nach wie vor, dass die Thematik mich nicht so reizen kann aber trotzdem schön zu sehen, dass auf dem deutschen Markt solche guten Produkte entstehen können!
Hörspiel?
Martin (not verified) — 8. November 2009 - 19:25So gerne ich hier auch lese, aber hier ist ein schwerer Fehler unterlaufen. John Sinclair ist in erster Linie kein Hörspiel, sondern ein "Groschenroman", den man jede Woche in den diversen Tabakwarenfachläden (Wenn ich das Kiosk nenne, werde ich hier gesteinigt...) kaufen kann. Die Hefte sind einfach klasse und ich persönlich finde, dass da die Stimmung noch um einiges besser als in den Hörspielen rüber gebracht wird.
Aber sonst sehr gute Rezi. Ich denke mal, ich werds mir auch anschaffen. Immehrin habe ich knapp 200 Hefte von John Sinclair mittlerweile gelesen. Ist halt doch eher kurzweilig...
Groschenroman!
PiHalbe — 8. November 2009 - 19:58Ja, das ist mir klar. Ich hatte im Artikel lediglich darauf Bezug genommen, dass für mich die Hörspiele relevant sind, da ich die Romane nicht kenne.
Ich habe nirgendwo behauptet, John Sinclair sei in erster Linie ein Hörspiel und bin davon ausgegangen, dass Leser des Artikels sich dessen bewusst sind oder Wikipedia oder ähnliches um diese Information bemühen (da es mir hier ja im Wesentlichen um das Abenteuerspiel geht).
Insofern sehe ich das weder als Fehler geschweige denn als schweren solchen.
Also ich habe mir das Buch
Sizaro (not verified) — 8. November 2009 - 20:16Also ich habe mir das Buch auch gekauft und bin sehr begeistert, allerdings auch rech erwartungsvoll, was die folgenden Bücher angeht, da auch lange Zeit gesehen der Spielspaß natürlich nicht verloren gehen soll; wenn man ältere Spiele wie Vampire oder die Werewolf-Sachen kennt (um mal bei im Gebiet dieses Genres zu bleiben), sollte man nicht enttäuscht sein, wenn man es anders gewohnt ist.
Allerdings war dies ja nur der Anfang....
Ansonsten wurde alles hier bereits gesagt :D
Nur eine Sache noch (vielleicht hab ichs auch überlesen bei den vorigen Kommentaren): Auf Seite 5 "Alleine oder Gemeinsam" steht im vorletzten Abschnitt, dass das Solo- und das Gruppenabenteuer ein und dasselbe sind ;)
kleine Anmerkung zur Rezession :P
Soloabenteuer
PiHalbe — 8. November 2009 - 21:34Ok, ja da steht es. Ich hatte das wohl beim ersten Lesen missverstanden (ich dachte, das Gruppenabenteuer würde das Soloabenteuer fortsetzen). Dennoch finde ich, dass dieser Hinweis direkt auf die erste Seite des Soloabenteuers gehört. Nicht jeder liest Vorworte. Und so richtig deutlich gemacht wird es erst hinterher, dass man das Soloabenteuer nicht gespielt haben sollte, wenn man im Gruppenabenteuer mitspielen will …
Eine angebracht deutliche Warnung sieht anders aus.