Fragwürdige Mittel
PiHalbe — 11. May 2009 - 16:51

Eigentlich soll es auf diesem Blog ja weitestgehend um fiktionale Inhalte gehen, aber dieser Gesetzesentwurf der Familienministerin lässt mich nicht los.
Bevor ich die Meinungen der Leser beeinflusse, möchte ich hier auf zwei ePetitionen beim Bundestag aufmerksam machen, die sich mit dem Thema beschäftigen:
- Internet - Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten
- Kinder- und Jugendhilfe - Kinderpornografie im Internet
Hier kann man als Bürger seine Meinung kundtun. Ich möchte jedem die Wahl lassen, welche Position er zu diesem Thema vertritt.
Kindesmissbrauch gehört sicherlich zu den schlimmsten Vergehen, die man sich vorstellen kann, zusammen mit Folter jedweder Art und Völkermord. Es gibt einige kranke Menschen, die dieses Verbrechen obendrein noch dokumentieren und kommerzialisieren. Diese Menschen gehören bestraft und vor allem gehören die Taten unterbunden, damit der Rest der Bevölkerung geschützt ist.
Der neue Gesetzesentwurf soll es nun dem unbescholtenen Bürger, der eigentlich nichts verbrochen hat, unmöglich machen, auf Webseiten mit solchen Inhalten zu gelangen. Natürlich ist das Anbieten und Unterstützen dokumentierten Kindesmissbrauchs in unserer Gesellschaft strafbar, weswegen Leute, die solche Inhalte abrufen wollen, vermutlich ohnehin etwas umsichtiger im Gebrauch mit den neuen Medien sind. Die technischen Maßnahmen, die mit dem Gesetzesentwurf eingeführt werden, sind offensichtlich leicht zu umgehen und dürften somit kaum ein Problem für die eigentlichen Straftäter darstellen.
Dagegen führte das einfache Kontaktieren von Betreibern von Servern mit entsprechenden Inhalten zu einem beachtlichen Erfolg. Wenn das zuviel Aufwand für die Behörden ist, dann verstehe ich nicht, wieso man eine umfassende Zensureinrichtung aufbauen möchte. Das ergibt keinen Sinn; außer man möchte sie wie Belgien auch für weitere Inhalte nutzen.
Ich finde, man sollte den Kindesmissbrauch lieber an der Wurzel bekämpfen. Dafür muss man natürlich etwas länger nachdenken. Dann lieber einfach alle Internetseiten verstecken. Das klingt ja schön einfach. Ändert aber nichts an den begangenen Verbrechen an Kindern! Die zu verhindern ist vielleicht komplizierter, aber genau das worum es eigentlich gehen sollte.
Die gleichen Probleme sehen offensichtlich auch Organisationen für Missbrauchsopfer und zur Sicherung von Kinderrechten.
Und dann diese Sperrliste. Da sitzen ein paar Leute im BKA und denken sich eine Liste mit Seiten aus, die geblockt werden sollen und händigt sie an die Provider aus. Die Liste wird aber nicht gegengelesen, weder von einem Richter noch von einem Gremium. Ist ja auch klar, denn das Aufrufen der Seiten wäre ja eine Straftat. Öffentlich gemacht darf die Liste sowieso nicht werden, immerhin könnte dann jeder die wirkungslosen Maßnahmen umgehen und die verbrecherischen Inhalte aufrufen. Das ist konsequent. Genau dieses Problem haben übrigens andere europäische Staaten mit Sperrlisten, die im Gesetzesentwurf als Paradebeispiele angeführt werden.
Also haben wir eine Liste mit gesperrten Inhalten, die niemand überprüft. Da könnte auch dieses Blog drauf stehen, weil es Manfred Mustermann im BKA nicht gefällt. Würde niemand erfahren. Da könnten auch schlechte Nachrichten über den kommenden Gesetzesentwurf gesperrt werden. Das wäre ganz praktisch. Geht leider nicht, weil er dafür schon beschlossen sein müsste. Ironie des Schicksals.
Ein Abschnitt (zu Absatz 8) regelt allerdings die Auskunftspflicht des BKAs. Der klingt für mich so, als könnte auf richterliche Anfrage eine Erklärung des BKAs gefodert werden. Ob das Opfer einer solchen Zensur bis dahin nicht schon gesellschaftlich ruiniert ist, bleibt allerdings fraglich. Wer einmal mit dem Begriff Kindesmissbrauch in Berührung gekommen ist, ist vermutlich schnell aus dem Rennen. Ob gerechtfertigt oder nicht.
Dazu kommt, dass mittlerweile ja sogar die Verbindungsinformationen für die Aufrufe auf STOPP-Seiten gespeichert werden sollen. Dann kann das BKA auch schön sehen, wer — absichtlich oder nicht — auf so eine gesperrte Seite zugreift (ob da nun fragwürdige Medien sind oder nicht). Die Unschuldsvermutung, nach der nicht die Unschuld, sondern die Straftat nachgewiesen werden muss, wird dabei dann auch außer Kraft gesetzt. So etwas will ein normaler Bürger natürlich nicht riskieren, und baut schnell noch eine Selbstzensur im Kopf ein, schließlich wird ihm jetzt ja sogar ganz offiziell beim Informieren im Internet über die Schulter geschaut.
Für mich klingt das nach einer ganz miesen Kiste, schnell hochgezogen und entweder nicht überdacht oder sehr hintertrieben. Davon, dass hier am Grundrecht der informationellen Selbstgestimmung gewackelt wird ganz zu schweigen. Mein (mit vielen geteiltes) Gefühl ist eher, dass es sich hierbei um die Lösung zu einem anderen Problem handelt.
Immerhin lässt die aufflammende Diskussion darauf hoffen, dass sich Bürger wieder mehr Gedanken um staatliche Überwachung, Zensur und fragwürdige Machtstrukturen machen. Und darüber, wie man Verbrechen — insbesondere so schreckliche wie Kindesmissbrauch — wirklich verhindern kann.
Interessante Seiten zu dem Thema:
- https://www.foebud.org/
- http://www.carechild.de/
- http://mogis.wordpress.com/
- http://netzpolitik.org/
- http://www.datenschutzbeauftragter-online.de/uberblick-zum-thema-netzspe...
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PiHalbe — 26. August 2009 - 10:33Ergänzungen
Noch zwei Ergänzungen von mir.
Was man nicht abstreiten kann ist, dass die Zensur solcher Seiten einen Einfluss auf potentielle Pädophile haben wird. Durch die Zensur werden weniger Leute versehentlich auf solche Inhalte stoßen und dadurch eventuell solche Ausprägungen zeigen. Natürlich nur, wenn die in Frage kommenden Personen nicht ohnehin schon die Zensur umgehen.
Tatsächlich könnte ich mich mit einer solchen Zensur abfinden, wenn
Zensur geht für mich schlicht gar nicht
Meiner Ansicht nach ist nämlich jedes Zensursystem gesellschaftlich deutlich gefährlicher als jegliche Inhalte, die davon blockiert werden könnten.
Und dabei ist es egal, was für Inhalte das sind.
Selbst wenn es eine Seite gäbe, die Leuten beibringen würde, die Realität selbst zum Wanken zu bringen, wäre Zensur dieser Seite gefährlicher als das Übel, das die Seite bringt, denn die Zensur würde ja nicht verhindern, dass Leute die Information erhalten, sondern nur, dass die Öffentlichkeit um die Gefahr weiß.
Das einzige, was etwas bringen würde, wäre die Betreiber der Seite zu finden und festzunehmen - und am Besten gleich noch diejenigen, von denen sie gelernt haben, die Realität zu brechen. Damit wäre die Gefahr nämlich wirklich verringert.
Genauso würde ich auch keine Garantie annehmen: Sobald das System existiert, kann die Garantie sehr einfach wieder zurückgenommen werden, also würde selbst ein garantiert "guter" Zensurdienst die Aufsetzung einer allgemeinen Internetzensur erleichtern.
Als kleine Ergänzung: Jemand hat viele der (illegalerweise) öffentlich gewordenen Sperrlisten anderer Länder ausgelesen (Quelle: wikileaks) und überprüft in welchen Ländern die Server stehen, die geblockt werden.
Das Ergebnis war, dass der Großteil der Server in westlichen Ländern steht, und dass 99% der Server in Ländern stehen, die Gesetze haben, nach denen die Inhalte illegal sind. Anders gesagt: Ein einfacher Anruf bei den Polizeikräften dieser Staaten hätte schon genügt, um die Server abzuschalten. Pikanterweise ist außerdem gerade Deutschland sehr stark in den Listen vertreten - vermutlich, weil es hier recht günstig schnelle Anbindungen gibt.
Um also wirklich etwas gegen die Verbreitung von Kinderpornographie zu machen, müssten die Staaten nur ihre Listen der Server austauschen und die Betreiber kontaktieren.
Nach meiner persönlichen Einschätzung könnten so binnen 4 Wochen 90% der Angebote von Kinderpornographie aus dem Netz entfernt werden.
Also kommt doch die Frage auf, warum das nicht gemacht wird.
Und zumindest für mich liegt da die Antwort nahe, dass hier missbrauchte Kinder erneut missbraucht werden, um ein Gesetz zur Kontrolle der Bevölkerung durchzusetzen.
Und übrigens wollen Teile der SPD sie das System bereits auf "Jugendpornographie" ausweiten (die Antwort der CDU darauf war "noch nicht"...). Davon wären dann auch Animes und Erzählungen über Jugendsünden betroffen (wieviel Prozent der Animes zeigen keine jugendlich aussehenden Charaktere in recht offenen Posen?).
Das ist es, wozu Zensur fast zwangsläufig führt, denn irgendwo sitzt immer ein Puritaner. Was wird danach kommen?
Nebenbei: Ich finde deinen Artikel sehr gut.
Fast immer: ja
Da stimme ich Dir überall zu, größtenteils deckt sich das ja mit den Ausführungen und Links im Text. Die politische Instrumentalisierung hatte ich ja auch schon erwähnt.
Allerdings scheinst Du das mit der Garantie ein wenig missverstanden zu haben. Ich meine eine wortwörtliche Garantie, die also absolut unverletzbar ist. Soetwas gibt es natürlich nicht. Aber gesetzt diesen hypthetischen Fall kombiniert mit einem effektiven Vorgehen zur Bekämpfung des Problems und der tatsächlichen Wirksamkeit des Systems, könnte ich mich damit abfinden (ob gutheißen, das ist eine andere Frage).
Ich hoffe, das macht die Position etwas klarer.